Geburtstags-Näh-Feier
Nähmäuschen rollte mit ihrem „Würfelchen“ um halb zwölf vor, trug mein Gepäck hinunter, während ich mich Stufe für Stufe, wie ein Kleinkind, abwärts arbeitete. Dann nahm ich auf meinem dicken, weichen Kopfkissen Platz. Im Minikofferraum des Toyotas IQ verstaute sie unsere Geburtstagsgeschenkchen und Mitbringselchen - dann ging's ab Richtung in Vogtland. Die Fahrt auf der Hofer Autobahn war angenehm und lustig, wir unterhielten uns, freuten uns auf Gixs Gesicht, wenn sie die Nähmaschine auspacken würde, und besprachen, wie wir den Abend gestalten wollten. Dennoch spürte ich meine Weh-Wehchen bei der Ankunft deutlich.
Gix war bereits bei Popps und nun konnte die Geburtstags-Nähfeier starten. Popps hatte einen tollen Zwetschgenkuchen auf Hefeteig gebacken, ich brachte selbstgemachte schwedische Mandel-Vanille-Torte mit und Cas hatte Fingerfood für abends vorbereitet. Großes Begrüßungs- und Gratulations-Hallo, sowie Spott über das Humpelfüßchen, Angucken der Bilder von Nähmäuschens und meiner Umbauaktion, viel Geächter und dann machten wir uns es im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen gemütlich. … mhm... fein.... .....
Nach der überaus reichhaltigen und leckeren Kalorienzufuhr durfte Gix ihre Geschenke auspacken, die Popps hübsch auf einen Beistelltisch zusammen mit einem Wiesenblumenstrauß dekoriert hatte. Neugierig beäugte Gix das Tischlein und freute sich wie ein Kind über jedes kleine Päckchen, das sie auspackte. (Wir haben jedes Teil einzeln verpackt! Genauso viele Päckchen, wie Gix jetzt an Lebensjahren zählt.) Was da nicht alles zum Vorschein kam.... eine Böxchen mit gemischte Nähmaschinennadeln Standard, ein metallernes Handmaß, ein Allesnäher in blau, ein Päckchen Microtexnadeln, eine dicke Fadenrolle in weiß, eine dünne Fadenrolle in schwarz, ein langer Reißverschluß, Jerseynadeln, extra lange Stecknadeln, drei kleinere Reißverschlüsse, ein rechteckiges Holzbrettchen, besonders dickes Garn, Klettverschlüsse, eine Tüte Brausebonbons und viele Kleinigkeiten mehr. Sie lachte herzlich und packte weiter aus, sah uns verwundert an.....
„Dicker Stoff in rosa mit blauen Blümchen, den hab' ich doch schon mal gesehen.“ - “Stimmt, als Ihr mit dem Motorrad da gewesen seid.“ - „Und wofür ist der?“ - „Das erklärt das schmale, rosa Päckchen!“ - „Uiihhhh, eine Zeichnung! Das ist eine Nähanleitung für eine Zubehörtasche! Toll, Danke!“ - „Ohhh, dickes Vlies!“ - „Lila Stoff!“ „.... nee, ich glaub's nicht, alles für eine Nähmaschinentasche! Toll! Ähh... für zwei Taschen?“ - „Eine für Deinen Nachtfalter und eine für Dein Zubehör!“ - „Mööönsch, Danke – genial! Schaff' ich das auch?“ - „Ganz bestimmt!“ -“Eine in weniger als 6 Stunden!“ - „Niemals!“ - „Doch!“ - „Die andere geht dann ganz leicht!“
Popps hatte eine Nähanleitung für die obere Tasche gemalt, die untere Tasche wurde unser Nähpartyprojekt für diesen Samstag – die Transportverpackung für den Nachtfalter.
Vor'm Auspacken des letzten - einzigen großen - Paketes mußte Gix raten, was da drin sein könnte. Sie nannte alles Mögliche angefangen von einem Rollcontainer, über klappbare Beine für Ihren Werkeltisch, Aufbewahrungsboxen, Raviolidosen, Hanteln - nur den wahren Inhalt erriet sie nicht. Ihr Gesicht war erstaunt, verduzt, verwundert, ungläubig, bevor sie in einen nicht enden wollenden Jubel ausbrach, als sie sich durch die mehrfachen Papierschichten endlich zum Inhalt vorgearbeitet hatte.
Eine sonnengelbe, alte Eisenlady lachte da aus dem Paket heraus. Eine Privileg Top Star Automatik aus den 70ern mit Anschiebetischchen, Bedienungsanleitung, diversen Füßchen und leeren Spulchen und einem bereits modernisierten Fußpedal. Ihre Freude kannte keine Grenzen, sie hüpfte herum, grinste, freute sich, strahlte, ihre Augen leuchteten und sie umarmte uns Drei immer und immer wieder. Sie konnte es gar nicht fassen, daß ihr der Wunsch nach einem bunten Oldie so unerwartet erfüllt worden war.
Die alte Dame mußte natürlich sofort ausprobiert werden und so zogen wir mit allen Utensilien in Popps Nähreich. Ihr „Nähreich“ besteht aus zwei Zimmern. Einem, in dem der große Zuschneidetisch, das Vorratslager, die Umkleidekabine, ein riesiger, klappbarer Spiegel und das Podest beherbergt ist und einem größeren Raum, in dem eine Bügelstation, ein mittelgroßer Allzwecktisch, sowie mehrere Nähmaschinen in oder auf Arbeitstischen, teils mit Über- oder Unterbauten, stehen. Die Steckdosen hängen an Spiralkabeln aus Leitungsschächten von der Decke runter. Außenrum raumhohe, offene Regale an der Wand, in denen allerlei Zubehör in Boxen und Auftragsware in weißen Tüten lagert.
Wir waren im Arbeitsraum. Dort wurde die alte Privileg feierlich unter Anstoßen mit Sekt getauft.
„Du bist also meine neue, bunte, ersehnte, alte Nähmaschine, die mir einfach so zum Burzeltag geschenkt wurde, daher taufe ich Dich jetzt nach Deinen Gönnerinnen auf den Namen „Ir-Sa-Cas“. Näh' schön brav, brech' mir keine Nadel ab, freß' mir keinen Stoff, reiß' mir keine Fäden ab und bleib' mir treu, dann hast Du ein schönes Zuhause in einem Kästchen mit Aufzug und Sonnendeck, Du wirst auch schön geputzt, geölt und gepflegt. Prost!“ - „Na zdraví!“ - „Egészségére!“ - „Skål!“ - und schwupps, waren unser Gläser leer. Die Sonnengelbe schien verstanden zu haben und lächelte.
Popps hatte mir einen bequemen Gartenstuhl bereit gestellt, auf den wir mein Kopfkissen legten, so konnte ich die Szenerie gut beobachten. Gix beschäftigte sich zunächst neugierig mit ihrer "Irsacas", freundete sich schnell mit der alten Maschine an, die sich von der Bedienung her nur wenig mit der „Mrs.-Nerv-Mich-Nicht“ unterscheidet und so konnte das Nähprojekt „Transportkoffer für den Nachtfalter“ gestartet werden.
Popps legte das von ihr entworfene Schnittmuster auf den Tisch und erklärte die Teile, die sie auch schon beschriftet hatte. Popps schnitt den Oberstoff zu, Gix die Stabilisierung und Cas das Futter. Lustig war's, laut und sehr gesprächig.
„Popps, was heißt vlevlo?“ - „Links!“ - „Was? Stoff oder innenrein?“ - „Das ist das selbe!“ -“nee, isses nicht.“ - „Das ist die linke Innenseite, die mit den drei Täschchen.“ - „Okay, Danke.“ - „Brauchst Du Teil 4 noch?“ - „Nö, bin schon fertig.“- „Danke.“ - „und.. wie heißt das da? Vz-hu-ru?“ - „Wie?“ Vruzu?“ - „Wo ist Popps, denn jetzt hin?“ - „Auf's Klo, kommt gleich wieder.“ - „Jetzt sag' bloß Cas, Du kannst kein tschechich, da bin ich ja jetzt echt enttäuscht!“ - „Mhm... vielleicht heißt das verziehen?“ - „Muß ich das denn können?!“ - „Jetzt wär's hilfreich!“ - „Vielleicht eine Abkürzung?“- „Von rechts und zu unten oder was?“ - „Sporchi, was heißt das?“ - „Öhm.... vielleicht oben oder unten oder innen oder außen?“ - „Kannst Du Dich mal entscheiden?“ - „Innen!“ - „Sicher?“ - „Nöö.“ - großes Gelächter.
Popps kam wieder herein und wurde sofort bestürmt. „Ach, Mist, das heißt nach oben, ist ein Hinweis, daß das Teil da nach oben dran gehört. Tut mir leid, doch wenn ich so vor mich hinarbeite, dann schreib' ich' s einfach so hin!“ - „Dann wird’s Zeit, daß Du's uns lernst.“ - „Höhö, Nähkurs gepaart mit Sprachkurs. Wir laden Sie ein zum tschechisch-deutsch-ungarisch Näh-Sprach-Kurs. Jeder darf nur in seiner Muttersprache sprechen und verstehen tun wir alles nix!“ - „Hihi, was da wohl rauskommen würde!“ - „Vermutlich nichts!“ -"Sag das mal nicht!"
„Da, Humpelbeinchen, Nadeln und zwei Teilchen. Hier Deine Brille. Bitte quer stecken einen halben Finger breit!“ - „Aha. Wie breit?“ - „Den halben Zeigefinger bitte!“ - „Links auf Links?“ - „Sporchi!“ - „Ich frag' ja nur, weil da zwei Mal innen steht.“ - „Och, wie wär's denn, wenn Du das Papier erst mal abmachst?“ - „Ich dachte, das wär' die Versteifung.“ - „Du bist nicht nur auf den Hintern gefallen, anscheinend auch auf den Kopf, oder?“ - „Ja, ja, jetzt traust Du Dich frech werden, nur weil ich nicht laufen kann!“ - „Nö, die hat die Brille nicht geputzt! Sie hat's nicht erkannt!“ - „Fang' mich doch! Fang' mich doch!“
Gix war an der Bügelstation als eine große Dampfwolke aufstieg. „Huuu-ahhhh-aaaa....!“ - „Gix gibt Vollgas!“ - „Mönsch, dampft das.“ - „Nicht voll drücken.“ - „tja, ja, die Technik!“ - "Wozu ist der Fußhebel?" - "nicht drauf treten!" - zischel-zisch-dampf - "...zu spät!" - "Nebelschwaden!"
Nach einerhalb Stunden waren alle Teile ausgeschnitten, gebügelt und gesteckt, teilweise geheftet und dann war Teile nähen angesagt.
Ich weiß ja nun nicht, ob's an den Schmerztabletten lag, an dem anstrengenden Nadelstecken oder am Likör im Kuchen oder am Sekt oder der Mischung aus allem, denn ich bin eingeschlummert. Weder das Surren der drei Nähmaschinen noch das Gelächter und Geplauder meiner Freundinnen hat mich davon abgehalten.
Darüber hab' ich mich geärgert, denn ich hätte so gern zugesehen, wie aus diesen vielen, kleinen Teilchen die Untertasche wird und vor allem, wie die Ecken in drei bis fünf Lagen zuzüglich Verstärkung verarbeitet werden, wie die Außenpaspelierung angebracht wird und das Brett an der Unterseite seinen Platz findet. Heute war' nichts mit Lernen – alles verpennt!
Um halb neun Uhr wurde ich sanft aufgeweckt und da war die untere Tasche für die Nähmaschine bereits fertig. Von den letzten Stunden hatte ich gar nichts mitbekommen. Die "Irsacas" war schon in der Tasche verstaut, der Arbeitsraum gesäubert und im Wohnzimmer für's Abendessen aufgedeckt – 8 Gedecke für 4???
Meine Neugierde war groß, deshalb hab' ich mir das fantastische Nähwerk ganz genau angeschaut. Einfach genialix! Ein großer Innenraum, ausgepolstert, innen der lilafarbenen Stoff, das verkleidete Brett als herausnehmbaren Boden, seitlich drei kleine Täschchen mit Reißverschluß eingenäht, auf der anderen Seite ein Schubfach für einen Anschiebtisch oder eine Schneidematte. Ein langer Reißverschluß, so daß die Nähmaschine bequem hinein und auch wieder herausgehoben werden kann. Dazu zwei feste Henkel aus gemustertem Gurtband und ein umlaufender, verstellbarer Schulterriemen. An der Außenseite eine schmale aufgesetzte Tasche. Ein Traumteil in Gemeinschaftsarbeit nach Maß- und Wunschanfertigung. Die Drei haben geackert wie die Weltmeister!
Zum Essen gab es ein kleines Buffet, was wir zusammen arrangierten und in die Mitte des großen Eßtisches stellten. Es gab asiatisches Fingerfood, gefüllte Röllchen mit verschiedenen Gemüsen und Fisch, Reisröllchen mit vielfältigen Innenleben, das Cas vorbereitet hatte. Popps hatte Teigtaschen gefaltet, ebenfalls abwechslungsreich bestückt mit scharfer, milder und süßsaurer Soße zum Tunken, dazu grünen Salat mit Senfdressing. Es kamen noch vier Bekannte von Popps zum Feiern, die ein feines indisches Curry aus Putenfleisch und Ananas mit Bananen mitbrachten. Igor, der Mann von Olga bereitete in der Küche angebratene Auberginen und Zucchini zu, die ebenfalls gigantisch schmeckten. Sie waren in einer Mehl-Gewürzmischung nach seinen Rezept gewendet. Michael und Sanne brachten Karotten-Pastinaken-Salat mit, der ungewöhnlich, doch überraschend gut schmeckte.
Wir haben reichlich geschlemmt, jede Menge geplaudert , über diverse Themen ernsthaft diskutiert, gelacht und viel, viel Spaß gehabt. Der Abend verflog im Nu - viel, viel zu schnell und ich war traurig, daß Cas und ich schon um halb zwölf abfahren mußten, weil sie bereits um 5 Uhr in München am Flughafen sein muß. Die anderen feiern garantiert noch bis in die frühen Morgenstunden weiter!
Ursprünglich war geplant, daß Cas alleine zurückfährt, ich übernachte und das Motorrad von Gix am Sonntag zwecks Werkstattbesuches in der kommenden Woche mitnehme. Sie will es unbedingt in die Werkstatt, in der sie es gekauft hat, geben, obwohl es bei ihr im Ort auch eine Zweiradwerkstatt gibt. Den Termin haben wir verschoben, denn es wird wohl gut vier bis sechs Wochen dauern bevor ich wieder fahren kann. Meine Idee ein Näh-Motorrad-Wochenende zu machen, begeisterte Gix sofort und nun planen wir Anfang Herbst einen der Kurse zu belegen, sofern zum passenden Termin auch ein Teilchenkurs angeboten wird.
Wir wurden von Allen zum „Würfelchen“ begleitet, für Jede drei Vorratsdöschen von den feinen Leckereien, denn alles haben wir nicht auffuttern können, im Gepäck, und verabschiedeten uns winkend. Es war ein wunderschöner Samstag, auch wenn ich die Hälfte nicht mitbekommen habe.
„Hauptsache, Du warst beim Essen wach!“, meinte Cas grinsend. „Und Verpflegung für Sonntag hast Du jetzt auch!“ -
Sie fuhr mich gut nach Hause, brachte auch meinen Korb hoch und machte sich dann gleich auf nach daheim. Gix wird mit Hilfe von Popps morgen noch die Zubehörtasche fertigstellen. Ich beneide sie jetzt schon um dieses Teil und habe mein Interesse am Nacharbeiten angemeldet.