Es gab zu jeder Zeit gute und schlechte Nähmaschinen. Was sich aber dramatisch geändert hat, sind die Materialien. Seit der Siegeszug der technischen Stoffe in den 60er Jahren begonnen hat, sind viele alte Nähmaschinen schlicht überfordert, wenn es über den Geradstich hinaus geht. Pfaff hat als einer der letzten damals noch exististierenden deutschen Hersteller Ende der 50er Jahre darauf mit der Einführung des genähten Zickzackstiches reagiert, der dann als Trikot oder Stretchstich bekannt wurde. Dieser Stich wurde mit einer geänderten Steuerscheibe bei der Pfaff 260 Reihe realisiert. Aber diese Lösung half zwar ein wenig beim Thema Elastizität bei den neuen Geweben, gegen das Rutschen und das seifige Verhalten untern Nähfuß brachte das allerdings nicht viel. Und so kam dann 1968 die Pfaff 1222 mit dem IDT auf den Markt, die nachhaltig eine Verbesserung mit diesen Materialien brachte. In den folgenden Jahren kursierte bei den Nähmaschinenhändlern der Spruch, versuche nie einer Pfaff-IDT Kundin eine Nähmaschine ohne Obertransport zu verkaufen, sie bringt sie garantiert zurück. Das mag übertrieben gewesen sein, doch ein wahrer Kern ist dabei.
Moin,
ich habe derlei schon oft in Foren gelesen und ein paar Mal in Nähmaschinengeschäften gehört und ich habe jedesmal ein Verständnisproblem, weil ich einfach mit dieser Näherei nicht groß geworden bin und das jetzt lerne wie ein Erwachsener die vierte Fremdsprache in Businesskursen.
Stretchstoffe sind meiner Ansicht nach ein paar Jahrzehnte älter als es zur Nähmaschinenverkäuferlegende gehört. Strickstoffe gibt es schon ewig, Fein- und Doppelripp auch, und auch technische Elastikfäden mindestens seit den 20er Jahren. Zum Nähen war offenbar immer gerade das nötig, was die Nähmaschinenindustrie serienfertig auf dem Markt hatte. Anfangs hat man den Stoff ein bisschen gestreckt beim Nähen, da ging das mit dem Steppstich. Dann wurde es einfacher mit dem Zickzack. Als Zickzack mit Zwischenstepp möglich wurde wurde das auch augenblicklich unverzichtbar. Und jetzt lassen sich Stretchmaterialien nicht mehr ohne dreifach genähten Steppstich verarbeiten.
Macht nichts. Selbstverständlich kann eine Pfaff 30 oder eine Singer 15 mehrfach genähten Zickzack. Oder eine Singer 12. Oder... Jeder Hersteller hatte seine eigenen Zubehörsysteme, und wenn die Technik grundsätzlich gleich war (low shank, vertical shaft) dann war der Krempel auch herstellerübergreifend austauschbar. Sich heute antiquarisch das Grundgerät zu beschaffen, das System wegzulassen und dann Einsatzmöglichkeiten zu vermissen ist natürlich auch möglich. Allerdings gibt es auch das Zubehör antiquarisch.
Pfaff IDT kenne ich als unstabile bröselige Plastikangelegenheit, die bei dünnen Stoffen nicht mehr bietet als jeder x-beliebige Obertransportfuß zum Nachrüsten wie sie seit mindestens 70 Jahren angeboten werden und heute ab 6 Euro zu haben sind. Bei dicken Materialien und/oder kräftigem Zupacken zerbröselt IDT umstandslos, weil die Plaste zu dünn und ohne Elaste sind. Kein Vergleich zum robusten Obertransport einer 145 oder einem Puller.
Wenn ich mir das historische Nähmaterial anschaue mit Seide, Vorhängen, Samt, Brokat, Wollstoffen, Leinwand- und Köperbindung, Helanca, Batist (wie ich inzischen gelernt habe kein südamerikanischer Diktator), Organza (keine Volksbefreiungsfront), Vorhangstoffen, Sackleinen, Weißwäsche et und cetera glaube ich nicht, dass die Anforforderungen an eine Nähmaschine zu irgend einem Zeitpunkt schlagartig zugenommen haben. Abgenommen haben allerdings die Zubehörangebote. Vergleicht mal die Singer attachments mit heutigen Angeboten. Klar kann fehlendes Zubehör das Anwendungsspektrum einschränken.
Die aktuellen Modelle sind vielseitiger und/oder besser für dünne Stoffe geeignet? Wo jedesmal frenetisch bejubelt wird, wenn irgendwo der Nähfußdruck einstellbar ist? Wenn Hersteller sich über die fehlende Einstellmöglichkeit verbal hinwegschummeln mit Formulierungen wie "Nähfußdruck über Feder angepaßt"? Diese Einstellmöglichkeit war mal selbstverständlicher Standard. (Nicht dass die Prospektschummelei ganz neu wäre: Im Prospekt der Elna 1 wird auch sehr anschaulich mit Foto gezeigt, wie elastisch eine Zickzacknaht in Trikotstoffen ist. Die Maschine hat aber gar keinen Zickzack.)
Im 19. Jahrhundert sind doch die Geräteturner nicht nackt vom Hochreck abgegangen, weil die unelastischen Nähte ihrer Turnhemden bei schwungvollen Kunstturnfiguren jedesmal aufgerissen sind.
Ich glaube, dass die Marketingabteilungen alle paar Jahre den Interessenten die gleichen Möglichkeiten mit immer neune Geräten anbieten. Logisch, mit Geräten, die 120 Jahre halten und dann mal abgestaubt werden müssen ist nur einmal Geld zu verdienen. Mit einem Plastik-IDT immer wieder.
Ist doch hypsch: Die Ideal von 1891 ist jetzt einmal gründlich durchgeölt und mit neuem Riemen voll einsatzfähig, und bei neuen Geräten heißt es Öl könne den Kunststoff angreifen, die müssen zum Service in die Werkstatt.
Gruß
Ralf C.,
der historische Nähbücher als Begleitlektüre zu neuen Nähprospekten empfiehlt.