Zu dem Beispiel Bücher kann ich hier etwas beisteuern (Vorsicht, richtig lang), denn ich erlebe hier, wie jemand ohne Berührungsängste mit Internet mit Kreativität und weil er seinen Laden einfach liebt zu einem florierenden Geschäft aufgebaut hat, das seines gleichen sucht, aber zeigt, dass es möglich ist. Eine seiner Mitarbeiterinnen ist Bibliothekarin, die andere auch keine Billigkraft. Dazu kommen noch 1 1/2 Bürokräfte.
Es ist eine Buchhandlung im Nachbarort. Warum kaufen Leute bei Amazon Bücher? Sie bekommen sie schnell nach Hause vor die Tür geliefert - auch gleich ein Problem, denn inzwischen dürfen zumindest bei uns mit eigenem Aulieferungszentrum im Landkreis die Amazonleute die Bücher einfach vor die Tür legen. Entweder bekommt man es weiterhin in Pappverpackung und dann wird es teilweise bis 22 Uhr am Abend gliefert, wenn die Luft feucht ist, hat man im Regelfall ein welliges Buch. Nachdem das Amazon gemerkt hat, bekommt man die Bücher oft in einer zugeschweißten Plastikverpackung - sehr umweltschützend.
Also überlegte sich der Buchhändler anfangs von anderen Leuten oft als irrwitzig eingestufte Lösungen, aber sie funktionieren. Sein Geschäft ist in der Nähe des S-Bahn- und Busbahnhofs. Er hat sowohl Schüler als auch Studenten als Lieferanten aber noch besser, die Kunden sind auch selbst Lieferanten. Ich kann online angeben, dass ich an dem Tag mit der S-Bahn um soundsoviel Uhr vorbeikomme und bis zu dem Dorf fahre und erkläre mich bereit ein, zwei Bücher für jemand anderen dort mitzunehmen. Ich kann dann am S-Bahnhof aussteigen, schnell über die Straße gehen zum Buchladen, mich bequem in einen Ohrensessel setzen, bekomme kostenlos ein Getränk, stöbere herum, kann kurz plaudern, lass den Arbeitstag ausklingen, packe die Bücher und fahre heim. Oder ich sage, ich nehme diese oder jene S-Bahn, komme nicht vorbei, dann steht an der S-Bahn jemand vom Laden und reicht mir die Bücher zu.
Sie sind in wiederverwertbaren, nicht schweren Dosen. Die Empfänger am Ort wissen, ich komme da an und haben vorher mit mir online ausgemacht, ob sie sich die Bücher am dortigen S-Bahnhof von mir geben lassen, oder ob sie diese kurz bei mir abholen, wie andere ein Paket abholen, oder ob es im Seniorenheim gelagert werden soll. Das ist auch unweit des S-Bahnhofs und es gibt dort Senioren, sogar welche, die nicht gut zu Fuß sind, aber trotzdem mit Rollator unterwegs sein wollen und die übernehmen die Bücher dann. Dafür kommt der Händler oder eine Angestellte einmal im Monat mit neuen Büchern ins Seniorenheim. In Zusammenarbeit mit Schulen hat er eingerichtet, dass es in den Seniorenheimen auch e-Book-Reader gibt, Schüler schulen ehrenamtlich die Senioren dort im Umgang damit. Mir treibt es da fast Tränen in die Augen, wenn jemand absolut happy ist, dass er nun wieder lesen kann, weil er die Schriftart so richtig groß einstellen kann und es auch eine Hinterleuchtung gibt. Diese Schüler bekommen vom Landkreis Ehrenamtskarten, mit denen sie z. B. günstigeren Eintritt im Schwimmbad haben und andere Vorteile.
So ähnlich funktioniert das auch mit anderen Orten, die nicht an der S-Bahnlinie liegen.
Organisation übernimmt der Ladeninhaber.
Der Ladeninhaber hat zwei Mitarbeiter im Laden, bei denen ich hingehen kann und sage, ich benötige für jemanden ein Buch mit den Interessen, mit diesen Büchern, die derjenige schon hat, dummerweise welche, die komplett anders liegen als was ich mag.
Ich bekomme Vorschläge, Hinweise, kann nachfragen und bekomme Antworten und im Regelfall ein Buch, das beim Beschenkten immer gut ankommt.
Er schaut auch, dass er Bücher anbieten kann, die man in Buchform kauft, sieht aber selbst, wenn man unterwegs liest, ist ein eBook schon praktischer. Es gibt inzwischen Anbieter, die beim Kauf des Buches auch das eBook mit anbieten. Das ist eines der Projekte, bei denen er Verlagen, die das nicht machen, auf die Füße tritt.
Er hat auch keine Probleme mit den drei Bibliotheken im Landkreis zusammen zu arbeiten und das Glück, dass die größte selbst so kreativ wie er ist.
Er weiß auch, seine Buchhandlung einfach als Ort der Gemütlichkeit, aber auch des Events zu führen. Ohrensessel, gemütliches Ambiente. Er hat im Sommer hinten eine Tür nach draußen mit Sitzgelegenheiten und sagt, ein Buch muss leben, der Mensch lebt, also nehmt das Buch zum stöbern mit nach draußen, setzt euch hin und entscheidet dann, was ihr kauft.
Autorenlesungen sind auch anders bei ihm. Inzwischen gibt es viele Autoren, obwohl es eine eher kleine, fast ländliche Buchhandlung ist, die unbedingt da eine Lesung halten wollen. Warum? Es ist ein Happening. Die Karten sind schneller weg, als bei einem bekannten Konzert. Also wird die Lesung online übertragen. Wenn man keine Karte bekommen hat, dann sitzt man mit einem Glas Wein vor dem Rechner und fühlt sich fast dabei. Ich kann mit diskutieren, den Autor etwas fragen. Ich kann sagen, ich will das Buch haben und bekomme es dann auf dem genannten Weg am nächsten Tag, wenn ich will signiert geliefert. Für die freiwilligen Lieferhelfer, wie ich das oben erklärt habe, gibt es noch einen verrückten, lustigen Bonus, den inzwischen fast alle Autoren mitmachen und Kult ist. Ich habe keinen Vorteil beim Ergattern einer Karte, da sind alle gleich. Aber auf dem Heimweg des Autors schaut der Buchladeninhaber, wo ist da jemand der Lieferhelfer, der ein signiertes Buch haben will, lost bei mehreren das notfalls aus und dann fährt der Autor heim und bringt das signierte Buch bei demjenigen dann persönlich vorbei. Egal ob er wirklich an der Haustür klingelt oder man sich irgendwo im Dorf auf der Durchfahrtsstraße trifft.
Er macht auch die Buchhandlung für Schüler interessant. Nicht selten ist vormittags eine Klasse da. Ich habe einmal erlebt, wie er einer Gymnasialklasse Schillers Räuber nahegebracht hat. Wie er den Schülern zeigte, dass Schiller für damalige Zeiten eigentlich ein Spätpupertärer war. Der nicht studieren wollte, was er sollte, der sich heimlich davon schlich, der lieber kurz Gefängnis auf sich nahm und dann die Überleitung, wie man das alles bei den Räubern findet. Die Schüler waren komplett fasziniert. Er brachte sie sogar dazu, einen Teil mit verteilten Rollen zu lesen und übernahm selbst eine.
Benachbarte Jugendliche meinen, der Typ (Ladeninhaber) ist irre und cool und sie lieben es, z. B. in ihrer Mittagspause bei ihm zu sitzen.
Für mich faszinierend: Er gibt feste Regeln vor und die werden eingehalten: Wenn sie sich im Laden niederlassen, dann ist dort Flüstergebot und sie müssen sich mit einem Buch beschäftigen. Andere Kunden müssen im Laden auch ihren Spaß haben. Weil es inzwischen so viele sind, musste er eine andere Lösung finden. Die Schüler können sich bei schönem Wetter auch gerne draußen auf die große Treppe vor die Türe setzen, wenn andere Kunden weiter in seinen Laden kommen. Dafür hat er extra Kissen angeschafft, denn niemand sollte ein kaltes Hinterteil beim Lesen bekommen. Als einmal eine ältere Person mit Rollator kam, die Probleme hatte, seitlich die Rampe eigentlich für Behinderte hochzukommen und der Inhaber sah, wie zwei Schüler denjenigen hoch halfen, bekamen alle acht Schüler ein kostenloses Getränk und er schenkte den beiden Helfern je ein Buch.
Er geht auch Wetten ein, dass er jemand Jugendlichen, der sagt, er liest nie Bücher, zum Lesen bringt. Und sein Prozentsatz in dem Bereich ist gar nicht so gering.
Dazu kommt, dass ich bei ihm fremdsprachige Bücher fast zu Internetpreisen bekomme und wenn das nicht möglich ist, dann gibt er den Hinweis, online soundsoviel günstiger zu bekommen.
Auch bei Our of Print Büchern kann ich sagen, wenn er nichts findet, dann gibt es sie wirklich aktuell nicht irgendwo gebraucht oder neu zu kaufen. Das geht sogar so weit, dass ich nach über einen halben Jahr angerufen wurde, er hätte das Buch durch Zufall in einem Museumsladen gefunden und zwei Exemplare davon gekauft. Wenn ich wolle, könne ich eines haben.
Inzwischen wird er auch von Firmen unterstützt und es gibt ein lesendes Sparschein, in das man etwas stecken kann. Damit gleicht er Ausfälle aus, z. B. Transportboxen, die nicht zurückgebracht werden. Er hängt das im Laden und Internet aus. Ich behaupte, das bringt die Leute auch dazu, ordentlich mit seinen Sachen umzugehen. Jeweils am im April zieht er Bilanz, das gespendete Geld, das übrig ist, wird dann in einer Abstimmung jemanden in Buchform gegeben. Kindergärten, Seniorenheime, Schulen, etc. Inzwischen schafft er es sogar immer Sponsoren zu finden, die den Betrag verdoppeln.
Er hat es geschafft, den Laden genau in die örtlichen Gegebenheiten einzubinden. Er vertraut Leuten und wird selten enttäuscht. Sprich die Transportboxen kommen immer wieder in sein Geschäft zurück. Er hat alles rechtlich abgesichert hinbekommen.
Er schafft es für alle Generationen interessant zu sein und er schafft es auch moderne Medien mit den althergebrachten Büchern zu verbinden.
Er ist aber auch ein Mensch, der von innen strahlt, der glaubhaft für Bücher lebt und den man sich einfach nicht entziehen kann.
So jemand wird kaum Gefahr laufen, dass sein Geschäft nicht läuft.