Ich bin total geschockt, weil mein Patenkind erzählt, sie dürfen in der Grundschule nicht Handarbeiten. Oder sagen wir es so, maximal mit dickeren Nadeln häkeln.
Ihre Mutter fragte nach und es gab wohl ein Schreiben des KM an alle Fachlehrer mit der Warnung zur Vorsicht, weil heute viele Kinder keine ausreichende Feinmotorik mehr hätten und auch nicht mehr - hm, da fehlt mir nun der Fachbegriff. Also gemeint ist, dass viele Kinder nicht mehr diese natürliche Barriere hätten, bevor sie etwas machen, zu überlegen, ob man jemand anderen damit verletzt.
Ganz besonders wird auf Stricknadeln als hochgefährlich verwiesen, wegen der enormen Verletzungsgefahr. Es hätten wohl schon Kinder damit herumgefuchtelt, oder sogar absichtlich andere bedroht und es wäre schon zu Stichverletzungen gekommen. Es ist wohl den Lehrern freigestellt, wenn sie sich das trotzdem zutrauen, aber durch die Warnung ist ihr Dienstherr bei einem Unfall dann rechtlich gut außen vor und alles bleibt am Fachlehrer hängen.
Kein Wunder, dass die Teenager, mit denen ich in anderem Zusammenhang öfter Kontakt haben, imer fragen, ob ich ihnen Stricken oder Nähen zeigen kann. Ich mache das gerne, verweise sie aber auch noch auf Youtube, damit sie im Regelfall zu Hause, wenn sie irgendwo hängen, einmal nachschauen können, wie es geht. Da schauen sie mich oft mit großen Augen an und meinen, sie hätten gar nicht gewusst, dass man solche Sachen auch auf youtube findet. Sie, die ständig auf youtube unterwegs sind.
Deshalb meine Frage: Wie seid ihr zum Handarbeiten gekommen?
Bei mir ist es der denke ich ganz klassische Weg, Sowohl meine Oma und Großtante als auch meine Mutter haben gehandarbeitet. Meine Oma war die absolute Strick- und Häkelkönigin, konnte aber auch Nähen, Occhi, Filet. Meine Großtante war die absolute Nähkönigin, aber natürlich konnte sie auch die anderen Handarbeiten. Von ihr wird erzählt, dass sie wohl in der Nachkriegszeit aus den Armeedecken aus der Hand heraus Teile zugeschnitten und zu tollen Mänteln genäht hat, die ihr sogar die Amerikaner abkauften und für Deckennachschub sorgten.
Meine Mutter kann Nähen, Stricken und Häkeln. Aber für sie war es nie die große Passion. Sie brachte mir Stricken und häkeln schon vor der Grundschulzeit bei und natürlich haben mir auch meine Oma/Großtante geholfen.
Durch meine Mutter bin ich dann zum Nähen gekommen, denn sie wollte/konnte (?) nur nach Schnitt nähen und wenn sie mich dann fragte, ob ich lieber das Teil oder das andere hätte, kam von mir auch mal die Antwort, davon das Vorderteil und vom anderen Schnitt das Rückenteil. Das geht nicht, behauptete meine Mutter, ich müsse mich entscheiden. Ich habe dann noch im Grundschulalter entschieden, dass es gehen muss. Wie man Schnitte aus den damaligen Nähzeitschriften Burda und Neue Mode herausmacht, hatte ich mir von meiner Mutter abgeschaut.
Immer am Wochenende schliefen meine Eltern bis 9 Uhr, ich war früher wach und beschäftigte mich selbst. Also las, spielte oder malte ich am nächsten Wochenende nicht, sondern machte die zwei Schnitte aus den Zeitungen und versuchte das eine Vorderteil mit dem anderen Rückenteil zusammenzubasteln.
Da rief meine Mutter meine Großtante um Hilfe und von da ab ging es im Nähen so richtig los. Denn ich konnte mir das Teil mit dem Vorder- und dem anderen Rückenteil nähen. Meine Großtante meinte immer, sie sähe nähtechnisch sich in klein in mir. Ich würde ihr sogar die ein oder andere Idee geben. Sprich von da ab bedeutete es, wenn ich mit meiner Großtante zusammen war, dann waren wir an ihrer genialen Nähmaschine, beim Stadtbummel waren Nähmaschinen- und Stoffgeschäfte unsere Lieblingsorte. Einzig, wenn sie meinen Ideendrang einbremste, weil sie natürlich wusste, dass auch die Technik wichtig ist und man einfach die handwerkliche Seite beherrschen muss, kam es bei uns schon einmal zu heftigeren Diskussionen, a la, warum muss ich das so umständlich machen, das sieht doch eh keiner - aber du weißt es - ja und, ist mir egal, ich spare mir massig Zeit und kann noch ein weiteres Stück nähen. - Meine arme Großtante. Heute bin ich ihr so dankbar, wenn ich daran denke, dass sie mir da schon immer wieder auf die Füße gestiegen ist. Sie war auch der Typ, man muss nicht alles heften, es gibt Sachen, die man generell schneller machen kann, aber es muss ordentlich sein. Dazu ihre Kniffe, einfach genial.
Ich bin auch meiner Oma und Mutter sehr dankbar. Oma konnte z. B. nicht klöppeln, aber ich fand es interessant. Als dann mein Opa in Bad Steben auf Kur war, wo es auch eine langee Klöppeltradition von Nordhalben her gibt, hat sie mich bei den Besuchen mitgenommen und wir haben dort Klöppeln gelernt.
Ich habe auch das Filetnetz knoten bei meiner Oma gelernt, auch wenn ich das einfach extrem finde. Diese Arbeit, diese Genauigkeit! Aber das war meine Oma. Die hat auch einen ganzen Häkelmantel wieder aufgerippelt, der fertig war, als sie sah, dass im Rückenteil in der dritten Reihe einmal bei der Wolle ein Faden eingestochen wurde.
Handarbeiten in der Schule erlebte ich leider mehr als Bremse. Da mussten wir in der 3. oder 4. Klasse Hüttenschuhe stricken zu einer Zeit, wo die absolut out waren. Oder einen Tischläufer besticken und die Lehrerin gab nur zwei Farbzusammenstellungen für das Stickgarn vor: Braun-Orange oder Grün-Gelb - ja wir sind in den 70er Jahren! Ich wollte aber Rot-Gelb, am liebsten noch zusätzlich Blau - nicht erlaubt.
Als ich dann Grün-Gelb nahm und nach der Benotung aus dem Tischmittelläufer vorbei war und da war ich zu 100%ig mit meiner Familie konforn, so etwas Spießiges wie einen Tischmittelläufer legen wir uns nicht auf den Tisch. So nähte ich daraus eine Tasche für mein Sportzeugs und färbte es - natürlich Rot! Alle fanden es klasse, nur meine Handarbeitslehrerin war entsetzt, wie ich das schöne Teil verhunzt hätte, nahm es in die Hand und zeigte mir zwei Handstiche vom Anheften des Trägers, die ich übersehen hatte, wieder herauszuziehen. Das wäre alles Pfusch und sie wisse schon, warum sie mit uns einen Tischläufer gemacht hätte, eine Tasche kann man in dem Alter noch nicht machen. Wumms, das saß!
Meine Mutter tröstete mich, meine Großtante wurde zum Panzer und als sie meine Lehrerin dann in der Stadt traf, rückte sie ihr gehörig den Kopf zurecht und wies sie auf drei Fehler bei dem von ihr selbst genähten Kleid hin mit dem Zusatz, wenn man das nur so hinbekäme, dann würde sie das nie öffentlich tragen und vor allem müsse sie sich als Handarbeitslehrerin schämen. Vielleicht solle sie lieber bei ihren Tischläufern bleiben und Bekleidung denjenigen überlassen, die es könnten mit dem süffisanten Hinweis, dass ich selbst genähte Kleidung trage und man dort solche Fehler garantiert nicht finden wird. Meine Großtante! Ich liebe sie!
Ich freue mich, eine Generation zu sein, in der Handarbeiten ein Hobby ist und nicht eine Pflicht in der Frauenrolle. Allerdings muss ich sagen, bei Oma und meiner Großtante war das auch immer ein Hobby, ein Spaß auch wenn man es von Ihnen natürlich erwartete. Meine Oma hatte die typische Frauenrolle, meine Großtante arbeitete Vollzeit beim TÜV in der Verwaltung. Bei meiner Mutter war es schon mehr Pflicht, allerdings war sie auch ganz kurz vor den 68ern und erlebte die Emanzipation so richtig mit. Bei der Hochzeit musste mein Vater noch unterschreiben, dass er ihr zu arbeiten erlaubt. Kurz darauf wurde das Recht geändert.
Ich habe das Gefühl, dass viele junge Leute und da meine ich nun auch Twens, die Handarbeiten nicht mehr von den Vorfahren gelernt haben und wenn ich dann lese, dass selbst die Schule kein Ort mehr ist, wo man wenigstens einmal etwas davon hört, dann finde ich es wunderbar, dass Handarbeiten heute doch wieder so beliebt ist.
Nur wie kommen heute die jungen Leute zum Handarbeiten?