Mitte November ist die Bernina 770 QE bei mir eingezogen. Es ist meine 3. Bernina nach der grossen Overlock und der meiner geliebten Aurora 430. Da ich mit schwierigen Stoffen arbeite (dicker Walk, englisches Wachstuch, zähe Möbelmicrofaser, Filz in diversen Stärken) und präzise Nähergebnisse benötige, kam nur eine Maschine in Frage, die stark genug ist, um durchgehend perfekte Ergebnisse zu liefern, schliesslich sollen meine Kunden vollends zufrieden sein.
Dafür liebe ich die Bernina 770 QE
Ihr Design - Es ist bestimmt nicht für jede etwas, aber ich mag nunmal geradlinige Designs ohne unnötigen Schnickschnack und mädchenhafte Farben und Gedöns. Am liebsten ist mir Industriedesign, ich würde also noch extremere Zurückhaltung wunderbar finden, lach. Es sollte allerdings jedem klar sein, der Interesse an ihr hat, wie riesig sie ist, da ist die erste Begegnung mit ihr schnell von einem staunenden «*ufff*» begleitet.
Sie ist sehr leise - Meine Aurora hat schon ziemlich geklackert und es hat mich gestört. Hier ist das Laufgeräusch angenehm, es nervt nie, ich denke oft, dass sie schnurrt wie eine zufriedene Katze.
Sie läuft absolut ruhig und sehr kraftvoll - Egal, was ich ihr zumute (das können schonmal 6 Lagen dicken Walk plus eine doppelte Schicht fieser fester Möbelmicrofaser sein oder gemeine Wärmevliese in 2 cm zusammengepresster Dicke und zweifache dichte Fleeceschichten plus benannte Microfaser sein), sie ist nicht zu beeindrucken und läuft sauber weiter. Dabei bewegt sie sich nicht, was natürlich auch ihrem Eigengewicht von 15 kg gutzuschreiben ist. Das ist nicht gerade wenig, aber sie lässt sich zumindest im Haus noch ganz gut bewegen, ein Griff ist oben eingebaut (das vergisst man schnell, denn man bekommt ihn selten zu Gesicht). Wer allerdings oft unterwegs ist und dabei die Nähmaschine mitnehmen möchte, sollte eine kleinere dafür parat haben. Ich habe die Aurora deshalb behalten.
Ihr Obertransport - Er war das wichtigste Argument für mich, denn immer wieder gab es Schwierigkeiten bei vielschichtigen Projekten und speziellen Stoffen (gewachste Baumwolle ist eine näherische Herausforderung, die nach gusseisernen Industriemonstern schreit…). Ich habe mir eine kleine Sammlung von sogenannten D-Füssen zugelegt (funktionieren mit dem Obertransport), die genau meinen immer gleichen Bedürfnissen entsprechen und siehe da, der Zeitgewinn ist enorm, denn ich muss nicht mehr verpatzte Nähte auftrennen, sie treten gar nicht mehr auf. Das ein- und ausschalten des Obertransports ist so einfach wie genial gelöst.
Sie nimmt viel Platz ein aber bietet dafür unglaublich viel Platz rechts der Nadel - Endlich kann ich meine kleineren und grösseren Projekte so plazieren, wie ich es möchte und nicht, wie es der Platz vorgibt. 25 cm rechts der Nadel vereinfachen die Arbeit.
Sie ist leicht zu bedienen - Denjenigen, die befürchten, davor zu sitzen und nichts zu verstehen kann ich die Angst nehmen, sie ist sogar intuitiv sehr einfach zu erfassen und mit ein wenig Uebung ist es ein Kinderspiel. Die Anleitung habe ich so gut wie gar nicht benötigt.
Bernina bietet eine grosse Auswahl an Füssen, auch speziell für Obertransport - Oft fragt man sich, wie jemand z.B. eine perfekte Kappnaht hinbekommen kann, weil die Aufgabe schwierig erscheint. Dabei geht es nicht selten nur darum, den richtigen Fuss zu haben und schon geht es fix und perfekt. Bernina Füsse sind teuer (und sehr solide), aber es gibt die Möglichkeit, sie günstiger im Set zu kaufen, ich hatte das Glück ein tolles 5er Set mit genau den Obertransportfüssen zu bekommen, die ich andauernd brauche, ein wenig suchen lohnt sich, nicht jeder bietet die gleichen Mischungen an. Toll ist es auch, dass die Füsse der kleineren Aurora verwendet werden können. Der besondere BSR-Fuss für Freihandquilten ist auch dabei, den habe ich damit doppelt und gebe einen davon ab, wenn jemand Interesse hat bitte melden, ich setze den noch in das dafür gedachte Forum.
Die Programmierung der meist genutzten und geänderten Stiche - Schnell sind sie gespeichert und genauso schnell aufgerufen, das ist einfach und sehr praktisch. Allerdings habe ich da zwei Anmerkungen: wieso kann nicht der Fussdruck auch gleich mitgespeichert werden? Das wäre wirklich nützlich. Ausserdem sollten die Stiche benannt oder zumindest mit Nummern für den direkten Zugriff versehen werden können, denn es ist sonst schwierig, sie auseinander zu halten.
Die Knopflöcherauswahl ist grandios und die Ergebnisse auch - Ein bisschen Experimentieren ist da schon Pflicht, aber was die Aurora nie konnte - Knopflöcher auf dickem Walkstoff - ist nun ein Kinderspiel (allerdings nur mit entsprechender Hilfsschiene, die bei der Aurora keine Besserung zeigte).
Viele Stiche, mit besten Ergebnissen - ich brauche nicht 1000 Stiche, aber perfekt und anpassbar sollen die, welche ich nutze sein. Darin ist die 770 sehr stark. Die Stiche können bis zu 6 mm in der Länge und 9 mm in der Breite verändert werden und sie sind sehr sauber ausgeführt. Bisher konnte ich sie nicht in Verlegenheit bringen, selbst der Problemstich der Aurora, der Heftstich, wird hier zum Kinderspiel. Die Veränderung in Länge und Breite geschieht übrigens sehr einfach und schnell durch die grossen Drehknöpfe an der Fassade.
Das B-Hook Greifersystem - Laut von mir eingeholten Informationen gab es Probleme mit dem vorhergegangenem Greifersystem genannt B9, dies soll eine Weiterentwicklung sein. Fakt ist, die grossen Spulen sind leicht einzufädeln, wenn man es einmal raus hat (das schaut man sich am besten direkt am Bildschirm der Maschine an). Ihr Fassungsvermögen ist ein vielfaches der kleinen Metalspulen und endlich muss ich nicht mehr dauernd aufspulen. Vertun kann man sich beim einlegen in den Greifer kaum, es reicht, wenn man sich merkt, dass die Fläche mit den Silberstreifen immer in der Spulenkapsel sein soll und die schwarze Fläche immer nach aussen zeigt. So wickelt sich der Faden auch immer richtig ab.
9 mm Stichbreite - Damit kann die Nadel leicht 5 Positionen nach links oder nach rechts verschoben werden, das ist sehr hilfreich. Verpatzte Möglichkeit: auf der Kipptaste zum verschieben der Nadelposition befindet sich die mittlere Position. Darauf drücken bringt nichts, dabei wäre es perfekt, wenn dies die Nadel wieder in die normale Mittelstellung bringen würde.
Hilfe am Bildschirm - Falls man zwischendurch mal Fragen hat, kann man sich kleine Demos direkt am Bildschirm ansehen (z.B. wie die Maschine eingefädelt wird). Die Suche nach dem Handbuch entfällt.
Die Abdeckhaube - Für diejenigen, welche die Maschine nicht in einem Möbel versenken, wird es von Interesse sein, dass eine Abdeckhaube in hervorragender Qualität beigefügt ist.
Wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten und ja, es gibt Punkte, die mich nicht gerade begeistern…
Der Oelverbrauch ist horrend - Ich arbeite mit stark fusselnden Materialien und reinige regelmässig meine Maschine. Dass sie nach 9 Tagen lautstark klackernd nach Oel verlangte, hat mich schon geärgert, ich hatte hier und da gelesen, dass die neuen 7er da sichtlich übertreiben, aber so habe ich es mir nicht vorgestellt, vor allem da ich in der Zeit nicht übermässig viel genäht habe. Ich folgte den Empfehlungen von amerikanischen Bloggerinnen und habe eine volle Ladung eingefüllt. Das ist eine Woche her, abwarten wann sie wieder lauter wird (man merkt den Oelbedarf am veränderten Laufgeräusch und sollte dann sofort handeln). Geölt wird über eine rot markierte Oeffnung unter der Nähplatte (es soll Oel reingetropft werden, bis der Spiegel zu sehen ist) und in zwei Oeffnungen im Spulenhalter, bis das Fliess nichts mehr aufnimmt (mit einem Wattestäbchen verschmiertes Oel entfernen, bevor weitergenäht wird). Korrektes ölen ist ohne den spitzen Bernina Oelstift so gut wie unmöglich, wer zittert, sollte andere bitten, es für ihn zu tun.
Mehr Knöpfe schauen weniger edel aus als die glatte, leere Oberfläche, aber sie sind deutlich besser, als alles über Bildschirm einzugeben. Ganz ehrlich, ich war deutlich schneller, die Hauptstiche über eine Nummer oder einen direkten Knopf auf der Aurora anzuwählen, als jetzt wo ich auf dem Bildschirm suchen muss. Die Herren Designer sollten sich klar werden, dass Handhabung über Design geht. Eine Möglichkeit, die Stiche über Nummern anzuwählen fehlt, das ist in meinen Augen ein Fehler.
Den halbautomatischen Einfädler kenne ich von meiner Aurora, ich habe ihn immer mit Freude benutzt und nie damit Probleme gehabt. Gerne wüsste ich, wieso der von meiner tollen 770 so nervt. Der Hebel ist schwieriger herunterzudrücken, weniger ergonomisch, sogar unangenehm verglichen mit der Aurora, der Erfolg ist selten und das obwohl ich vorher nie mit diesem System ein Problem hatte. Es nervt auch, das jedesmal der Fuss schön langsam runtergefahren wird, wohl die Schweizer Ruhe… ich habe leider zu tun und keine Zeit zuzuschauen. Das Ergebnis: ich fädle die Nadel mittlerweile per Hand ein, indem ich den Faden von vorne direkt reinschiebe, das geht deutlich schneller als zigmal mit dem Teil zu kämpfen. Da ist etwas gründlich misslungen oder meine Maschine hat einen Defekt (was ich keinesfalls glaube, eine gesteste Maschine im Laden hatte genau die gleiche Macke).
Wenn der Faden eingefädelt ist und unten die Spule gewechselt wurde, gibt es bestimmt viele Leute wie ich, die den Unterfaden hoch holen. Wer dabei auf den Nadel runter und wieder hoch Knopf drückt, darf zusehen, wie sich der Fuss automatisch in aller Ruhe senkt und dann unten bleibt, wenn die Nadel wieder hoch fährt, er muss dann noch per Knopf wieder hochgeholt werden, das braucht kein Mensch. Endergebnis: wie in alten Zeiten drehe ich am Rad und bin schneller damit. Das passiert wohl, wenn Ingenieure designen aber sich nicht im klaren sind, dass ihre tollen «*Verbesserungen*» die Arbeitsabläufe verschlechtern. Ich wünsche mir eine Software-Aenderung, bei der ein längeres Drücken auf die Nadel hoch/runter Taste diese runterfahren und direkt wieder hochfahren lassen würde, wobei der Nähfuss oben bleiben sollte.
A propros früher war einiges praktischer: ich fordere den Fusshebel zurück! Den Nähfuss nur per Motor hoch und runter zu befördern und die Automatik, die einem den letzten Nerv raubt, weil der Fuss einfach hoch und runterfährt, obwohl man es nicht möchte, ist und bleibt ein Krampf. Besonders übel ist es bei Abläufen mit dem Kniehebel: vorher war es beim Freihandsystem möglich, den Nähfuss oben zu fixieren, indem man den Kniehebel nach rechts drückte, kurz gehalten hat und den Nähfusshebel ein Stück hochdrückte. Das geht nun nicht mehr. Entweder man drückt durchgehend den Kniehebel nach rechts oder man darf zuschauen, wie der Fuss runterfährt und muss ihn per Knopfdruck hochfahren. Ich habe keine Lösung gefunden, wäre sehr dankbar wenn jemand eine hätte, mit den Settings habe ich es erfolglos probiert. Mein Aenderungswunsch: Wenn der Kniehebel mehr als 1 Sekunde bis zum Anschlag nach rechts gedrückt wird, sollte der Nähfuss oben einrasten.
Die Knöpfe über dem Fuss sollten deutlich getrennt werden, da erwischt man schnell den falschen. Zumindest der «*Schneiden*» Knopf sollte sich woanders befinden, blind drücken kann man nicht, die Gefahr sich zu vertun, ist zu gross. Dadurch entsteht wiederrum ein Zeitverlust, man muss sich umpositionieren, den Kopf zurücknehmen…
Kleine Warnung: Die Vernähfunktion hört sich ja sehr gut an, aber beim Nahtanfang lässt sich die Vernähfunktion nicht auf automatische hintereinanderfolgenden Stiche programmieren. Bei den grundsätzlichen eingestellten Vernähstichen auf der Stelle gibt es öfter Fadennester, ich rate dazu, die Vernähautomatik abzuschalten und statt dessen das Pedal so zu programmieren, dass bei Druck auf die Vorderseite 4 Stiche hintereinander ausgeführt werden zur Sicherung des Fadens. Dies funktioniert tadellos und bereitete bisher keine Fadennester und feststecken der Nadel. Wenn die Vernähstiche auf der Stelle funktioniert haben, hat sich übrigens herausgestellt, dass eine Art dickerer Knoten produziert wird, der stört bei normalen Stoffen sehr. Demnach sollte die Software so korrigiert werden, dass die automatischen Vernähstiche auch auf hintereinanderfolgende programmiert werden können, das wäre deutlich besser.
Die Möglichkeit sich die Nähfüsse am Bildschirm anzeigen zu lassen ist absolut nutzlos. Wer darauf geht, bekommt einen erklärenden Text, was der Fuss so kann, aber das war es schon. Eigentlich ist wohl der Sinn darin, dass man den Fuss auswählt und er auf dem Home-Bildschirm links erscheint, dazu sollte dann auch bei manchen Stichen gewarnt werden (Fuss nicht kompatibel). Dumm nur, dass es nicht funktioniert, egal worauf ich drücke, es erscheint immer nur der 1C Fuss auf dem Home-Bildschirm.
Die Unterfadenüberwachung nervt gewaltig. Ich hatte schon etliche Fehlanzeigen, daher habe ich sie mittlerweile ganz abgeschaltet. Bei der Oberfadenüberwachung ist das allerdings nicht zu empfehlen.
Ich habe Bernina angeschrieben, weil viele Kreative zu denen ich auch gehöre ausschliesslich am Mac arbeiten und Updates lassen sich nur über PC und Windows durchführen. Das ist nicht kundenfreundlich und für viele ein Argument, z.B. kein Stickkit zu kaufen. Die 770 ist eine vollwertige Stickmaschine, wenn man das Kit dazu hat, ich habe es nicht geholt, weil ich keinen PC habe und keinen möchte.
Das Schränkchen für Zubehör ist ja eine schöne schicke Sache, darin lassen sich vor allem die Füsse gut aufheben. Allerdings ist es deutlich zu klein für die grossen Füsse (es hängen nur 3 nebeneinander ggü. der 5 im gleich grossem Schrank der Aurora). Die Spulen dürfen nur in einer Richtung eingelegt werden, weil sie sonst verkratzen und sie nehmen unnötig Platz weg. Mein Tip: Spulenhalter raus, Füsschenhalter dafür rein und einen Spulenring für Jumbospulen besorgen. Darin lassen sich wunderbar auf kleinster Fläche und mit bester Uebersicht und Entnahmemöglichkeit bis zu 20 Spulen unterbringen, nie wieder ohne! PS: gibt es in 2 Grössen, auch für die üblichen Metalspulen. Das Schränkchen ein wenig zu verbreitern wäre nicht falsch.
Fazit
So, ich hoffe, diese lange Liste an positiven und weniger positiven Ansichten nach einigen Wochen Gebrauch kann helfen, sich für oder gegen diese nicht gerade billige Maschine zu entscheiden. Fragen beantworte ich natürlich gerne. Ich wünsche mir, dass die bemängelten Seiten ausgemerzt werden, so manches liesse sich über ein Software-Update regeln (wofür ich dann zu einem Freund fahren muss, der einen Windows PC hat). Die verpatzten Möglichkeiten und Fehlfunktionen fallen umso mehr auf, da die 770 QE so hochqualitativ arbeitet. Für mich steht fest: ich werde sie nicht wieder hergeben, meine Nina bleibt!