Dies ist ein Blogeintrag, der am 19.06.2017 erstmalig bei MBMA veröffentlicht wurde. Merkbefreit mit Attest ist eine etwas andere Autorenplattform.
Früher, als man in den Ferien noch zu den Großeltern aufs Land fuhr, war alles anders. Sechs Wochen am Stück absolutes Kuhdorf und es war schön. Kein Whatsapp, kein Facebook, ja nicht mal Internet. Ein Telefon gab es. Beim örtlichen Bullen (aka Abschnittsbevollmächtigter) oder in einer Telefonzelle auf dem Dorfplatz. Die Post hatte auch eins, aber die hatte nur an zwei Tagen in der Woche ein paar Stunden geöffnet.
Fragt mich, was man den ganzen Tag gemacht hat – ich weiß es nicht. Was hängen blieb, sind einige Dinge. Der Geruch von Sonne, alten Teerdächern von Schuppen, Stroh in den Scheunen, Wiesen, auf denen Kühe malmend herumstehen und ab und zu mal mit dem Ohr zucken, wenn sich eine Scheißhausfliege auf demselben niederließ. Traktoren, die polternd mit leeren Anhängern durchs Dorf rasten und eine damals fantastisch riechende Abgasfahne hinter sich herzogen.
Mittags gab es trotz der Hitze meist deftiges Essen, Schnitzel, Rouladen, man hatte Hunger, stopfte sich voll. Danach döste man überfressen unterm Apfelbaum, in der Hollywoodschaukel oder auf einer Wiese am Waldrand. Die Oma in Kittelschürze, der zufriedene Blick auf leere Teller. Zum Sommer gehörte damals Kaltschale. Mit Sago. Froschaugen. Die gab es dann meist Nachmittags. Und die wiederum erinnert mich an Enten. Am späten Nachmittag, wenn die Sonne nicht mehr so extrem brannte, schnappten wir uns die Fahrräder, Eimer und Kescher und fischten Entengrütze auf dem Dorfteich, die wir dann den kommenden Weihnachtsbraten in den Teich auf dem Hof kippten. Das Geräusch, wenn ein Rudel Entenschnäbel die Wasserlinsen klarmachten, vergisst man auch nicht.
Regen? Ich kann mich an Sommergewitter erinnern, die ein-, zweimal pro Jahr niedergingen und für uns Kinder einen Weltuntergang bedeuteten. Wir haben die meist vom Dachboden aus beobachtet und bei jedem Blitz die Zeit gezählt, bis es donnerte. Ab und zu hat so ein Gewitter mal einen Baum erlegt, den wir dann am nächsten Tag suchten…
Und heute sitzt Du im Auto, erkältest Dich mit eingeschalteter Klimaanlage, sitzt mit dem Handy in der Hand im Schatten, schwitzt vor Dich hin und checkst, wie die Temperaturen die nächsten Tage werden.
Immerhin ohne aufgeschlagene Knie oder Ellenbogen wie früher.
Leben ist, von der Gegenwart überholt zu werden.
Und das ist ok, solange man sich Erinnerungen bewahrt.
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MBMA. Write. Think. Write more.
Kommentare 1
mama.nadelt
Ich erinnere mich an Ferien in der Stadt (Leer) bei meinen Großeltern: Einzelkind auf Zeit (ansonsten drei Brüder...), Sonnenschein, Treffen mit Cousinen, Gesellschaftsspiele mit Großmutter, die Aufziehspielzeugsammlung von Opa, Hängematte unter zwei Apfelbäumen, Ausflüge an den Hafen und in die Innenstadt. Nußbrot und Nagelke vom Markt. Opa, der am Kiosk Eis für alle holte, für Großmutter Erdbeereis für Diabetiker für uns Kinder Fürst-Pückler in der Waffel. Heißt bei uns bis heute Opa-Eis...
Binsen flechten im Julianenpark um die Ecke. Viel frische Luft, viel Zuwendung und Bettwäsche nach Großmutter Art: Morgens frisch gewaschen und in den Garten gehängt und abends aufgezogen. - Herrlich!
Oder die Radtour mit meiner Patentante: Mit Zug und zwei Hollandrädern nach Emden und von dort aus zurück nach Leer auf je zwei Rädern. Meine Tante wollte unbedingt auf den Deich radeln. Blöde Idee, denn alle x Meter kam so eine Schafleiter. Dann mußten wir die sehr schweren Velozipede drüberheben und danach weiterstrampeln. Irgendwann hat sie kapituliert und wir sind unten am Deich auf einem durchgehenden Weg weitergefahren. Abends Ankunft bei den Großeltern mit irrem Appetit, einem Sonnenbrand auf den Waden und - ganz ehrlich? - ich habe nie wieder so gut geschlafen wie in DER Nacht... Schön war´s.