Wissensauffrischung: Wie viel Stoff wird gebraucht?
Anne Liebler
wenn man einen Stoff toll findet, aber noch nicht weiß, wie viel davon benötigt wird, weil es kein Schnittmuster gibt, dass diese Frage im Vorfeld beantwortet hatte.
Das kennen wir sicher Alle und in der Folge haben wir nicht selten zu viel Stoff gekauft (weil übrig haben ja besser ist als zu wenig für den Nähwunsch... ) und suchen dann Projekte, mit denen wir Stoffreste verarbeiten können. Damit kann man natürlich auch noch Schönes machen, aber es hilft, die überflüssigen Lagenbestände zu minimieren, wenn man schon im Vorfeld weiß, wie man die benötigte Stoffmenge - in etwa - bestimmen kann.
Im August 2013 hatten wir dieses Thema bereits im Forum: Das Wort zum Mittwoch: Stoffverbrauch
Die Faustformel von @Andrea N. zum Rock...
ZitatFaustformeln bei 140 cm breiten Stoffen:
Glatter Rock = 1x die Rocklänge plus Bündchen.
Ausgestellter Rock bei dem das Muster beachtet werden muss: 2 x die Rocklänge
...war der Beginn der Diskussion. Der Einwand von @Doro-macht-mit...
Zitatalle Faustformeln funktionieren nur bei kleinen Größen. Bei Plusgrößen bracht man immer mehr. *
...ist wichtig und richtig.
Ich möchte mit meiner Erfahrung ergänzen und helfen, die Entscheidung beim Kauf ohne große Probleme treffen zu können.
1. Stoffverbrauchsangabe bei Schnittmustern:
Verallgemeinernd möchte ich aus meiner Zeit bei burda anmerken, dass die Angabe des benötigten Stoffverbrauchs sich immer auf die Verwendung des jeweiligen ORIGINAL Stoffes des genähten Modells bezogen hat. Es wurden bspw. die Muster, ein Rapport oder die Strichrichtung, ggf. die Dehnbarkeit und Stoffbreite berücksichtigt und der Schnitt durch Auflage der Teile mit dem Zusatz der Nahtzugaben ermittelt. Diese Angabe konnte, wenn man dann bspw. einen UNI Stoff mit gleichen Schuss- und Kettfäden verwendete zu einem ganz anderen Bedarf führen. Ich habe in den Jahren als DIE Hobbyschneiderin im Internet sehr oft gelesen, dass der Stoff sehr oft viel zu viel war, den man gekauft hatte. Das kann ich aus dem genannten Grund heraus nachvollziehen.
Das bedeutet aber auch, dass man bei einer Angabe eines Schnittmusteranbieters zum nötigen Stoffverbrauch ohne Probleme auch versuchen kann, mit weniger Stoff die Schnittteile unter zu bekommen, wenn das Muster und Material es zu lässt.
2. Stoffverbrauch bei unterschiedlicher Stoffbreite:
In unseren Regionen wird in der Regel der Stoff doubliert in der Breite von 140 - 155 cm angeboten. Durch das Doublieren haben wir bereits einen Stoffbruch, der bei der Mitte dieser Stoffbahn liegt.
Es gibt aber auch andere Stoffbreiten, die innerhalb des globalen Handels üblich sind und auch bei uns angeboten werden.
Ein Beispiel dafür sind die Freespirit Stoffe, die es früher einmal über Coats gab und die für Patchwork, aber auch für Kleidung genutzt werden können. (Der Stoff ihrer Majestät: Neues von der amerikanischen Designerin Tula Pink)
Diese Stoffbreiten liegen bei 114 cm und auch sie sind Doubliert.
Der Vollständigkeit halber muss man auch auf die als Rollenware angebotenen Stoffe (bspw. bei Seide oder Pailettenstoffen oder mit wasserabweisend beschichtete Stoffe) hinweisen, die keinen Stoffbruch haben sollen und deshalb als Gesamtbreite angeboten werden. Zusätzlich gibt es Stoffe mit Überbreite, die mit max 2.60 m vierfach doubliert in der Regel für Homeware und/oder Taschen genutzt wird-
Diese Stoffbreite wird dann abgemessen zum Zuschnitt und die Breite ist entscheidend für die benötigte Länge. Je schmaler, desto mehr Länge braucht man, wenn nicht mehr 2 Schnittteile über die Breite über die gleiche Länge aufgelegt werden können.
3. Stoffverbrauch nach Konfektionsgröße:
Das ist der persönliche Aspekt beim Kauf. Reicht mir die 1/2 Stoffbreite für die Vorder- oder Rückseite, brauche ich die benötigte Länge für ein Shirt oder einen Rock nur einmal. Dazu kommt dann noch die Länge des Ärmels beim Oberteil und ca 10% mehr für Stoffstreifen, Belege, Taschen u.ä.
Reicht 1/2 Stoffbreite nicht, dann muss man 2 mal die benötigte Länge für ein Shirt oder einen Rock kaufen.
Man muss an der eigenen breitesten Stelle messen und dann einmal rechnen.
Konkretes Rechenbeispiel:
Hüftmaß 115 cm = 57,5 cm + Bequemlichkeitszugabe und Nahtzugabe pro Schnittteil 60 cm. Die 120 cm Schnittmusterbreite passen auf die 150 cm Stoffbreite, so dass beim Kauf nun die Länge des geplanten Shirts entscheidend ist. Nehmen wir einmal geplant 70 cm - gemessen ab Schulter bis geplantem Saum.
Die Ärmellänge mit 50 cm kommt hinzu, so dass wir mit 120 cm das langärmlige Shirt nähen könnten. Ich gebe immer noch die erwähnten 10 % (auf- oder abgerundet dazu), so dass es dann bei 130 cm die Schere angesetzt werden kann.
*
Hüftmaß 140 cm = 70 cm + Bequemlichkeitszugabe und Nahtzugabe pro Schnittteil 78-80 cm. Diese Schnittmusterbreite passt dann nicht auf eine Stoffbreite, so dass die Teile untereinander gelegt werden müssen. Bleiben wir bei den gedachten Längen von 70 cm für das Shirt und 50 cm für den Ärmel, muss man wie folgt weiter überlegen. Wenn das Schnittteil für den Ärmel schmaler als 70 cm im Armkugelbereich ist, kann es neben den Schnittteilen von Vorder- und Rückenteil liegen. Es muss also nicht zusätzlich berücksichtigt werden.
Es würden in diesem Fall nur 140 cm Stofflänge + 10% = 155 cm gekauft werden müssen.
Die Ärmelschnittteile müssen einzeln - unbedingt an das Spiegeln der Teile denken! - untereinander gelegt zugeschnitten werden.
Ist die eigene breiteste Stelle der Brustumfang - wird dieses Maß entscheidend sein.
Es hilft, sich im Vorfeld einmal Gedanken zu machen und sich eine eigene Faustformel anzueignen. Natürlich gibt es Abweichungen wenn der Stoff wie oben beschrieben Muster hat, oder es viele Schnittteile gibt, die alle eine zusätzliche Nahtzugabe erfordern. Auch der Fadenlauf ist entscheidend, denn wenn Schnittteile im schrägen Fadenlauf aufgebracht werden müssen, ist der Verbrach anders zu bemessen.
Ausgerüstet mit dem Wissen, wie viel man benötigt, hilft beim Stoffkauf die richtige Länge zu benennen. Meine Erfahrung aus dem Stoffverkauf war, dass Kunden*innen oft in 50 cm Schritten kaufen wollten, um "sicher" zu sein, dass der Stoff reicht und es später bei Gesprächen ganz oft die Aussage gab: "ich habe da noch Reste..." So schön der Verkauf für den Händler ist - sinnvoll für die Käufer*innen ist es nicht.
Auch aus diesem Grund war die Ausgangs-Diskussion von 2013 interessant und heute Anlass für mich, sie erneut aufzugreifen.