Balthasar Krems. Ein(fast) Unbekannter trieb es auf die Spitze: Das Nadelöhr


Gestatten, dass ich Ihnen hier und heute, an diesem für mich doch sehr befremdlichem Orte und unter ebensolchen Umständen meine Aufwartung mache. Mein Name ist Krems, Balthasar Krems und ich will mich billig freuen, dass ich das Glück habe, Sie hier zu finden...


So Sie nicht in meiner schönen Stadt Mayen beheimatet sind oder Ihnen das Glück eines längeren Aufenthaltes zuteil wurde oder eines Besuches unserer Genoveva Burg, wird Ihnen mein Name, geschweige denn mein Wirken bis dato kaum wohl zu Ohren gekommen sein. Dennoch und daraus ziehe ich ein gewisses Amüsement, vergeht wohl kein Tag an welchem wir nicht gewissermaßen „im Geiste vereint“ einen Augenblick gemeinsam verweilen, und Sie sich einer Tätigkeit widmen, zur Durchführung welcher mir die Ehre zuteil wurde, einen nicht unmaßgeblichen Beitrag geleistet zu haben. Wenn auch ich bei dieser postumen Feststellung und "Glorie" mich eines Maßes an Erheiterung kaum erwehren kann.


Wenn es Ihnen gefällig ist, so mag ich Ihnen berichten. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass mein Apparat, mein Marotte, wie manch einer insgeheim hinter vorgehaltener Hand wohl auch geflüstert haben mag, eines so großen Wortgepränges bedurft hätte. Wohl an denn - Wie bereits erwähnt, so lebte ich im schönen Mayen. Anno 1760 erblickte ich am 27. November das Licht meiner geliebten Eifelstadt und verstarb auch dort selbst am 4. Mai 1813, meine gute Anna Maria zurücklassend, welche ich am 17. November 1789 geehelicht hatte.


Ich durfte mich wohl mit Recht und Fug zu den gut etablierten Geschäftsmännern zählen. Erfolgreich war ich und ein Grundstück in der edlen Stehbachstraße die zum Obertor führt, durfte ich mein Eigen nennen. Von Haus aus war ich Strumpfwirker, stellte jedoch auch gewirkte Wollkittel und Zipfelmützen her und ja, auch Jakobiner Mützen welche die französische Mode zeitweilens so vorschrieb. Das Geschäft warf gar erfreuliche Resultate ab und besonders meine Mützen erfreuten sich alsbald einer gewissen Renommee und die Nachfrage brach nicht ab. Um meine Kundschaft nicht durch langes Warten zu brüskieren, musste ich alsbald eine Möglichkeit ersinnen, allen Wünschen beizeiten gerecht zu werden. So entwickelte ich eine kleine Konstruktion, welche einen Teil der Herstellung beschleunigen konnte.


Dieses gelang mir nach einigen Überlegungen und Berechnungen und so ließ ich mir jenes Gerät anfertigen, welches mir von nun an zum Säumen der Mützen dienen sollte und das sie heute im Eifelmuseum unserer schönen Genovevaburg in Augenschein nehmen können.



Wie genau es funktionierte fragen Sie mich? Mit dem Apparat ließ sich ein Kettstich bei gleichmäßigem, synchronem Transport des Nähgutes erzeugen. Die Mützen wurden in ein mit Stacheln versehenes Rad eingehängt und nachdem alsbald die Nadel eingestochen und die erste Schlinge sich gebildet hatte, ergriff ein Haken die Fadenschlinge und hielt sie. Die Nadel zog sich alsdann zurück während das Stachelrad sich um ein Stichlänge weiter drehte und die Nadel wieder einstechen konnte. So bildete sich die Kettstichnaht.



(Der Vorgang des kontinuierlichen Stofftransports dessen Funktionsweise in heutigen Nähmaschinen nicht unähnlich ist. Anmerkung der Red.)

Betrieben wurde diese Bewegung durch eine dem Spinnrad entliehene Vorrichtung von Pedale und Antriebswelle. Zur fehlerfreien Funktion dieses Apparates und des Nähvorgangs war es notwendig, das ich ein seit Jahrtausenden bewährtes Arbeitsgerät veränderte.


Ich ließ das Öhr der Nadel in deren Spitze arbeiten.


Das war, man möge mir mein etwas lückenhaftes Gedächtnis nach all den Jahren nachsehen, so um 1800. Ich leugne es nicht, mit einem gewissen Stolz erfüllt es mich zu sehen, dass diese Idee, die Idee der öhrspitzigen Nadel, auch heute noch Verwendung findet, ja sich sogar als einzige durchgesetzt hat. Obwohl ich eigentlich nie anderes im Sinne hatte, als in meinem Städtchen redlich meinem Tagwerk nachzugehen und mit meinem Geschäft ein führendes Haus am Platze zu sein bin ich so auch heute noch bei Ihnen mit meiner Überlegung.


Die Maschine half mir, die Zipfelmützen schneller zu nähen und gleichmäßig in den Abständen der Stiche. Meine Kunden waren zufrieden und ich war es auch.




Ich verabschiede mich wieder in die Geschichtsbücher und empfehle mich ergebenst! Wenn Ihnen mein Besuch zusagte und meine Unterhaltung Ihnen Freude bereitete, dann gedenken Sie meiner bei der Gelegenheit, eine öhrspitzige Nadel in die Hand zu nehmen. Das Öhr da unten war meine Idee. In Ihrer Zeit sagte man dazu, ich war ein Erfinder. Wenn sie nach Mayen kommen, besichtigen sie die Genovevaburg und auf dem Weg dort hinauf werden sie meiner Angesichtig werden... Jedenfalls meiner Büste.


Ihr Balthasar Krems


(als "Geschichtsschreiberin" tätig wurde nach eingehenden Studien zum Thema Anouk Duddey 2013)


Zeichnungen nach Fotografien von Erich Lüth.
Aus "Balthasar Krems 1760-1813 Erfinder der Nähmaschine".
Erschienen: 1941 Verlag Herbert Lüth, Hamburg 23


Wir danken Frau Blang vom Eifelmuseum / Deutsches Schieferbergwerk der Genovevaburg.


Eifelmuseum mit dem Deutschen Schieferbergwerk
in der Genovevaburg
56727 Mayen
Telefon: 0 26 51 - 49 85 08


Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 10.00 bis 17.00 Uhr
Vom 1. November bis 15. Februar geschlossen.


(C) Foto A. Blang Eifelmuseum


Die Diskussion dazu hatten wir umfangreich hier: https://www.hobbyschneiderin.de/forum/thread/9841

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